Lesedauer 11 Minuten Einsamkeit verstehen und besiegen: Wir zeigen dir, wie du Symptome erkennst, psychische Auswirkungen bewältigst und dein Leben bereicherst.
Einige Menschen sind empfindlicher als andere – das äußert sich darin, dass sie auf bestimmte Reize stärker reagieren. Viele Menschen bezeichnen das häufig als “hochsensibel”. Sie beschreiben sich als schnell gestresst oder überfordert, wenn viel um sie herum los ist. Oder sie bemerken sofort, wenn sich die Stimmung im Raum verändert. Das Thema ist in aller Munde: Es gibt zahlreiche Webseiten, Bücher, Coachings und Filme zu diesem Thema. Doch gibt es Hochsensibilität wirklich? Was genau Hochsensibilität ist, wie sie sich äußert und wie sie genutzt werden kann, erfährst du hier.
“Hochsensible Menschen sind empfindlich.” “Hochsensible Menschen sind feinfühlig.” “Hochsensible Menschen sind empathisch.” Viele solcher Aussagen finden sich im Internet, in Ratgebern oder in Gesprächen zwischen Bekannten. Doch stimmt das eigentlich? Aus psychologischer und wissenschaftlicher Sicht ist Hochsensibilität keine Krankheit oder Störung, sondern eine veränderte Wahrnehmungsschwelle von Sinnesreizen.
Hochsensibilität wurde erstmals 1997 durch die Forschung der amerikanischen Psychologin Aron bekannt (engl: “sensory processing sensitivity”). Sensiblere Menschen nehmen also Reize intensiver wahr und verarbeiten sie anders als weniger sensible Menschen. Das kann sich beispielsweise darin äußern, dass sensiblere Menschen einen kratzigen Pullover schneller wahrnehmen oder sensibler auf Geräusche oder Gerüche reagieren als Menschen, die weniger sensibel sind.
In der Wissenschaft ist Hochsensibilität ein umstrittenes Konstrukt. Es gibt wenig Forschung zu dem Thema und die Meinungen darüber, ob es sich um ein Persönlichkeitsmerkmal, ein angeborenes Temperament oder eine erlernte Eigenschaft handelt, variieren. Klar und unumstritten ist, dass Menschen sich in ihrer Sensibilität unterscheiden und unterschiedlich auf Sinneseindrücke reagieren. Unklar ist jedoch, warum das so ist, und womit das zusammenhängt. Zudem gibt es bisher keine anerkannten Kriterien zur Messung von Hochsensibilität, die meisten Erkenntnisse orientieren sich nach wie vor an den ersten Veröffentlichungen der Psychologin Aron, sowie Selbstauskünften von Menschen, die sich als hochsensibel wahrnehmen.
Daher ist es auch nicht ganz einfach zu definieren, wie viele Menschen hochsensibel sind. Umfragen und Schätzungen zufolge können ca. 15-20% der Bevölkerung als hochsensibel angesehen werden. Das hängt aber von der Definition ab und davon, ob man Hochsensibilität als ein Spektrum sieht oder eine Kategorie, in die klar eingestuft werden kann.
Hochsensible Menschen nehmen Reize intensiver wahr und verarbeiten sie anders und häufig länger als weniger sensible Menschen. Im Alltag kann sich das durch verschiedene Anzeichen oder Symptome bemerkbar machen, wie beispielsweise:
Auch hochsensible Kinder nehmen ihr Umfeld intensiver wahr, als weniger sensible Kinder und brauchen länger, um dies zu verarbeiten. Die Reizverarbeitung funktioniert ähnlich wie bei hochsensiblen Erwachsenen. Kinder gehen damit jedoch häufig anders um, auch weil sie fremdbestimmter sind als Erwachsene und abhängig davon, wie Erwachsene auf die Hochsensibilität reagieren. Für Eltern von hochsensiblen Kindern ist es daher wichtig, aufmerksam zu sein, um die Symptome des Kindes richtig einschätzen und sich darauf einstellen zu können.
Hochsensible Kinder sind häufig kreativ, fantasievoll und empathisch. Auch sie neigen eher zu Reizüberflutung und Überforderung, zum Beispiel bei zu grellem Licht, zu lauter Musik, einem vollen Spielplatz oder Konflikten zu Hause. Überforderung kann sich unterschiedlich zeigen: einige Kinder reagieren stark emotional, sind schnell frustriert oder verzweifelt und reagieren impulsiv. Andere ziehen sich bei Überforderung eher zurück, sind eher ängstlich und verunsichert und versuchen, alles richtig zu machen und sich anzupassen.
Warum einige Menschen sensibler reagieren als andere, ist in der Wissenschaft noch nicht genau geklärt. Die meisten Forscher:innen vermuten, dass Hochsensibilität eine Eigenschaft ist, die hauptsächlich erblich bedingt ist. Gene könnten dafür verantwortlich sein, dass das neuronale Reiz-Verarbeitungssystem sensibler reagiert. Auch ist es möglich, dass bestimmte Hirnfunktionen, die für die Verarbeitung von Reizen zuständig sind, bei hochsensiblen Menschen anders funktionieren, sodass bestimmte Informationen weniger stark gefiltert werden und im Gehirn als “wichtiger” bewertet werden.
Außerdem gehen einige Forscher:innen davon aus, dass die Entstehung von Hochsensibilität auch durch Erfahrungen und die Umwelt beeinflusst wird, wie beispielsweise kulturelle Einflüsse und Lern- und Lebenserfahrungen (Erziehung, negative Lebensereignisse, usw.). Es scheint sich also um eine Wechselwirkung aus Genen und Umweltfaktoren zu handeln: Bei Menschen mit einer stärkeren genetischen Veranlagung für höhere Sensibilität können negative Erfahrungen in der frühen Kindheit zu einer erhöhten Sensibilität führen.
Hochsensibilität ist weder eine Schwäche oder Krankheit, noch eine außergewöhnliche Begabung. Genau, wie bei jedem Persönlichkeits- oder Temperamentsmerkmal gibt es jedoch Vor- und Nachteile für eine Person. Um die Vorteile zu nutzen und ein erfülltes Leben zu führen, müssen die Bedingungen stimmen. Wenn hochsensible Menschen sich aber vor Überreizung schützen, dann kann das tiefe Erleben für ein genussvolles und intensives Erleben von Schönes genutzt werden. So können besonders positive Erfahrungen durch das Hören von angenehmer Musik, dem Fühlen von Berührungen oder dem Geschmack von gutem Essen gemacht werden.
Die Feinfühligkeit sorgt zudem für Fantasie und Kreativität. Das kann als Hobby, Beruf, zum Entspannen oder für das genussvolle Erleben von Ästhetik genutzt werden. Weiterhin sind sensiblere Menschen meist sehr empathisch und können sich gut in andere hineinversetzen. Das macht sie besonders geeignet für soziale Berufe, für die diese Eigenschaften wichtig sind.
Bei Hochsensibilität gelangen erst einmal viele Informationen ungefiltert ins Gehirn und müssen dort verarbeitet werden. Das sind äußere Reize, wie Geräusche, Licht, Gespräche oder Stimmungen, genauso wie innere Reize wie Gedanken, Gefühle, Impulse oder Körperempfindungen. Die ständige Verarbeitung der ungefilterten Informationen ist also eine Dauerbelastung, die zu Überreizung, Überforderung und Stress führen kann.
Auch benötigen hochsensible Menschen mehr Zeit, um Erlebtes zu verarbeiten. Sie denken also vielleicht länger an ein zurückliegendes Streitgespräch oder einen traurigen Film nach und neigen auch eher dazu, zu grübeln. Das kann verständlicherweise zu einer starken Belastung führen. Das Gute ist: Vor vielen Einflüssen und den entsprechenden Folgen können sich hochsensible Menschen schützen.
Pausen einbauen: Wer Reize ungefiltert aufnimmt, benötigt Zeit, um diese zu verarbeiten. Wenn du also schnell reizüberflutest oder dich überfordert fühlst, nimm dir diese Zeit. Baue im (Arbeits-) Alltag immer wieder kleine Pausen ein und sorge für regelmäßige längere Ruhezeiten. Das beugt Erschöpfung und Überforderung vor.
Stress abbauen: Nicht nur Pausen helfen bei Überforderung oder Überreizung, auch der Abbau von Stress hilft dabei. Das kann sowohl mit Entspannungsübungen, als auch mit Sport oder dem Schreiben von Tagebuch sein.
Abgrenzung: Hochsensible Menschen nehmen Stimmungen, Gefühle oder Kritik von anderen schneller wahr. Das kann auch zu emotionaler Erschöpfung oder Grübeln führen. Es kann helfen, im sozialen Kontakt anzusprechen, was dich stört oder wie es dir geht. Auch ist es hilfreich, häufiger mal “Nein” zu sagen und nicht immer Hilfe anzubieten.
Umgebung anpassen: Sowohl im Alltag als auch bei der Arbeit solltest du dafür sorgen, eine für dich angenehme Umgebung zu schaffen. Versuche deine Umgebung ruhig und mit wenig Reizen zu gestalten. Arbeit ist für dich also wahrscheinlich in einem Einzel- oder einem kleinen Büro besser, als in einem Großraumbüro. Achte auf Ordnung (wenig Reize) und sorge zu Hause für Rückzugsmöglichkeiten (z.B. ein eigener Raum, der ruhig und gemütlich ist und abgedunkelt werden kann). Ist eine Anpassung der Umgebung nicht möglich (z.B. in der vollen Bahn), hilft es vielleicht, schalldämpfende Kopfhörer zu benutzen und die Augen zu schließen.
Hochsensibilität ist keine Krankheit und keine psychische Störung. Dennoch sind hochsensible Menschen psychisch stärker verletzbar: wenn sie in einem “ungünstigen” Lebensumfeld aufwachsen, können sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine psychische Störung entwickeln, als weniger sensible Menschen. Ein “ungünstiges” Umfeld kann beispielsweise ein sehr stressiger Arbeitsplatz mit hohen Anforderungen sein oder auch das Leben in einer hektischen und großen Stadt.
Die meisten hochsensiblen Menschen wissen automatisch, was ihnen gut tut und was nicht und können sich entsprechend darauf einstellen. Trotzdem kann Hochsensibilität zu Überforderung und Belastung führen, was sich wiederum negativ auf die Psyche auswirkt. Andersherum ist es so, dass hochsensible Menschen intensiver und emotionaler auf belastende Ereignisse reagieren können. Hochsensibilität ist also per se kein Kriterium, dich für eine Therapie zu entscheiden. Wenn es dir jedoch schlecht (damit) geht, du dich überfordert, überlastet, gereizt oder ängstlich fühlst und du darunter leidest, dann solltest du dir professionelle Hilfe suchen. Gemeinsam mit einem oder einer Ärzt:in oder Psychotherapeut:in könnt ihr entscheiden, wie ihr daran arbeiten wollt.
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