Lesedauer 5 Minuten Unser Selbstwert hat einen großen Einfluss auf unser Leben und unsere Zufriedenheit. Lerne mehr über Selbstwert und wie du ihn stärken kannst.
Zu Beginn des Artikels möchten wir ein kleines Gedanken-Experiment mit dir machen: Stell dir vor, du bist mit deinen Freund:innen zum Picknicken im Park verabredet und hast die Aufgabe, den Nachtisch für alle mitzubringen. Als du dort ankommst, merkst du, dass du den Kuchen zu Hause vergessen hast. Es ist zeitlich nicht machbar, den Kuchen zu holen oder einen neuen Nachtisch zu besorgen. Die Freund:innen werden auf den Nachtisch verzichten müssen.
Nun eine 2. Situation: Stell dir vor, du bist mit deinen Freund:innen zum Picknicken im Park verabredet und ein Freund hat die Aufgabe, den Nachtisch für alle mitzubringen. Als du dort ankommst, merkt dein Freund, dass er den Kuchen zu Hause vergessen hat. Es ist zeitlich nicht machbar, den Kuchen zu holen oder einen neuen Nachtisch zu besorgen. Die Freund:innen werden auf den Nachtisch verzichten müssen. Der Freund grämt sich und sagt: “Ich bin so bescheuert. Wie kann ich nur so dumm sein und den Kuchen vergessen!”
Sind deine Antworten für Situation 1 und 2 unterschiedlich? Viele Menschen berichten, dass sie zu sich selbst viel härter sind als zu anderen. Unseren Freund:innen begegnen wir mit viel Nachsicht und Mitgefühl und nehmen sie in den Schutz. Uns selbst hingegen begegnen wir überkritisch und hart. Das bringt uns zur Frage: Warum sind wir so gemein zu uns?
Die Stimme, die sich da so oft zu Wort meldet, nennt man in der Psychologie auch den “inneren Kritiker”. Er nörgelt ständig an uns herum, hat immer etwas an uns auszusetzen und ist quasi nie zufrieden mit uns. Manchmal entwertet er uns komplett oder bedroht uns sogar. Man kann ihn sich vorstellen, wie einen strengen Lehrer oder einen verurteilenden Richter, der rechthaberisch und besserwisserisch ist und uns das Leben nicht gerade leicht macht. Er meldet sich sofort verlässlich zu Wort, wenn mal etwas nicht so läuft, wie wir es uns wünschen oder wir eine wichtige Aufgabe bewältigen müssen, die uns bevorsteht. Er legt seinen Fokus auf all unsere Schwachstellen und vermeintlichen Fehler und betont sie mit großem Getöse.
Diese Stimme kennt jeder Mensch auf dieser Welt. Wir alle besitzen einen inneren Kritiker, der uns hin und wieder “fertig macht” und uns entmutigt. Bei manchen ist er lauter und fast dauerhaft präsent, andere haben gelernt, sich hin und wieder von ihm zu distanzieren und ihm nicht immer zu glauben. Das ist allerdings gar nicht so leicht, da der innere Kritiker sehr hartnäckig sein kann und auch er natürlich eine Funktion hat. Was ist also seine gute Absicht?
Im Prinzip meint er es gut mit uns: Er will uns vor “vermeintlichem Unheil” bewahren, will uns zu besseren Leistungen antreiben und uns viele unangenehme Gefühle ersparen. Die Selbstbeschimpfungen aus unserem Anfangs-Beispiel “Du bist so bescheuert! Wie kann man nur so dumm sein” haben sicherlich den Zweck, sich beim nächsten Mal mehr anzustrengen, um sich die Scham- und Schuldgefühle zu ersparen. Der innere Kritiker (so sehr wir ihn auch hassen können) ist - wenn man so will - ein netter Beschützer, der es eigentlich nicht böse mit uns meint.
Aber - gute Intention hin oder her - die ständigen überkritischen Selbstabwertungen, Selbstbeschimpfungen und selbstbezogenen Forderungen wirken sich natürlich nicht sonderlich günstig auf unser Selbstwertgefühl aus, so dass uns der innere Kritiker bei zu starker Präsenz auch gefährlich werden kann. Wann ist das so? Ab wann geht der innere Kritiker zu weit? Ab wann wird die harsche Selbstkritik problematisch?
Problematisch wird es, wenn der innere Kritiker Überhand nimmt. Wenn nur noch “negative” Aspekte gesehen werden und vor allem: Wenn nicht mehr einzelne Verhaltensweisen kritisiert werden, sondern wenn es zu Verallgemeinerungen kommt und deine gesamte Person abgewertet wird. Das ist gefährlich, denn dann können sich unangemessene Gefühle einstellen. Wenn du beispielsweise in einer Freundschaft einen Fehler machst, und dir dein innerer Kritiker mal wieder bestätigt “Du bist so ein Loser. Du wirst nie Freunde haben!”, könnte in dir die unangemessene Emotion “Scham” entstehen, welche zum Rückzug motiviert. Die angemessenere Emotion, mit der du dein Bedürfnis nach Freundschaft befriedigen könntest, wäre in diesem Fall “Schuld”, da Schuldgefühle zu Entschuldigungen motivieren.
Gegen eine angemessene selbstkritische Haltung ist nichts einzuwenden. Selbstkritik kann in vielen Fällen hilfreich sein, uns Antrieb geben und zu wichtigen Entwicklungsschritten motivieren. Achte daher gut darauf, ob dein innerer Kritiker angemessen mit dir spricht.
Aber was tun, wenn nicht?
Meistens versuchen wir das, was wir nicht leiden können, zu unterdrücken, zu vermeiden oder zu verdrängen. Doch das Wegdrücken gleicht einem Kampf, der viel Energie kostet. Spricht dein innerer Kritiker sehr streng mit dir, ist es gut verständlich, dass du dir nichts sehnlicher wünschst, als dass er endlich verschwindet. Meistens geht es uns jedoch besser, wenn wir lernen auch unangenehme Dinge zuzulassen und anzunehmen. Das kann dir vielleicht gelingen, indem du dir klar machst, dass jeder Mensch die Stimme des inneren Kritikers kennt. Versuche ihn “zu grüßen”, im Sinne eines Gedanken wie “Ah, da ist er ja wieder, der innere Kritiker. Na, brauchst du wieder deinen Auftritt?”. Wenn wir Dinge annehmen, fällt es uns paradoxerweise häufiger leichter, Distanz zu ihnen aufzubauen. Übe dich also gerne darin, deinen inneren Kritiker willkommen zu heißen. Das bedeutet nicht, dass du ihm alles glauben musst.
Frage dich ganz konkret, wie oft dein innerer Kritiker bereits falsch lag. In ihrer Podcastfolge “Selbstkritik” im Podcast “So bin ich eben” beschreibt Stefanie Stahl den inneren Kritiker als den angestellten Berater, den sie aufgrund viel zu vieler Fehleinschätzungen als allererstes feuern würde. Wie oft hat denn dein innerer Kritiker in Wirklichkeit Unrecht? Vielleicht hilft es dir, dir deinen inneren Kritiker, wie ein für dich arbeitendes, lebendiges Persönchen vorzustellen. Um seine Beratungen zu überprüfen, kannst du ein Protokoll führen, in dem du die Situation, die abwertende Selbstkritik und die daraus entstehenden Gefühle notierst. Im Nachgang kannst du dann checken, ob dein innerer Kritiker recht hatte oder schon wieder eine schlechte Prognose gestellt hat. Manche Dinge kann man natürlich nur schwer überprüfen - aber dann hilft dir vielleicht Tipp 3.
Hier geht es darum, das Schwarz-Weiß-Denken (eine besondere Vorliebe des inneren Kritikers) abzulegen und zu einer Sicht der Dinge zu kommen, die Stärken und Schwächen vereint und nebeneinander existieren lässt. Niemand ist immer perfekt, genauso wie niemand immer furchtbar ist.
Auch, wenn unser Gehirn damit Probleme zu scheinen hat, da es sich die komplexe Welt in “gut” und “schlecht” unterteilt, müssen wir anerkennen, dass die Wahrheit immer irgendwo in der Mitte liegt. Frage dich also einerseits ganz ehrlich und realistisch, was konkret (ohne zu verallgemeinern!) dein Fehler in einer Situation gewesen sein könnte. Ist die Kritik berechtigt? Oder ist sie verallgemeinert, zu übertrieben oder verfolgst du viel zu hohe Maßstäbe? Übe dich darin, dein Verhalten und nicht gleich deine ganze Person anzusprechen und versuche dabei, aufkommende Gefühle wie Angst und Scham willkommen zu heißen und achtsam wahrzunehmen.
Mach dir dann einen Vorschlag mit einer positiven Zukunftsperspektive, so wie du es bei deinen Freund:innen oder Kindern ebenfalls tun würdest. Das Ziel ist nicht, die Selbstkritik zu vermeiden, sondern einzuüben, sich positiver und angemessener zu kritisieren und sich auch seinen Schwächen gegenüber freundlich und selbstmitfühlend zu begegnen. In dem in Tipp 3 erwähnten Protokoll könntest du auch wohlwollende Gedanken mit aufnehmen, die im Sinne des Selbstmitgefühls darauf abzielen 1) selbst-freundlich zu sein, 2) anzuerkennen, dass Fehler menschlich sind, 3) akzeptierend für jegliche Emotionen sind.
Andererseits geht es auch darum, mal die andere Seite, also deine Stärken zu beleuchten und dir auch mal all das Gute bewusst zu machen. Dich auch mal zu loben. Und zwar an genau den Stellen, an denen du auch deine Kinder und Freund:innen loben würdest.
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