Lesedauer 5 Minuten Unser Selbstwert hat einen großen Einfluss auf unser Leben und unsere Zufriedenheit. Lerne mehr über Selbstwert und wie du ihn stärken kannst.
“Nobody’s perfect” lautet ein bekannter Spruch, den wir auf T-Shirts lesen können und Miley Cyrus oder Jessie J singen hören. Wir alle kennen diese Wahrheit und doch scheinen manche sie widerlegen zu wollen. Doch wer den Anspruch hat, im Leben keine Fehler zu machen, ist zum Scheitern verurteilt. Oder kennst du einen Menschen, dem noch nie ein Fehler unterlaufen ist?
Was Perfektionismus genau ist und ab wann Perfektionismus krank macht, das erfährst du hier.
Perfektionismus ist ein Charaktermerkmal, welches durch ein hohes Streben nach Vollkommenheit und Fehlerfreiheit gekennzeichnet wird. Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus setzen sich häufig unrealistisch hohe Ziele und erwarten von sich selbst Höchstleistungen. Perfektionismus lässt sich also anhand sehr hoher Leistungsmaßstäbe charakterisieren, welche streng und beharrlich verfolgt werden.
Viele Menschen verbinden den Begriff Perfektionismus direkt mit dem Arbeitskontext, denken eventuell an einen Kollegen, welchem immer alles gelingt, oder der Chefin, die stets alles unter Kontrolle hat – so scheint es zumindest.
Perfektionismus kann jedoch in allen Lebensbereichen vorkommen, z.B. im eigenen Erscheinungsbild (Kleidung, Einrichtung oder Ordnung/Sauberkeit) oder wenn wir versuchen, die perfekte Tochter, der perfekte Ehemann oder die perfekte Freundin zu sein. Wir sprechen dann von einem “sozialen Perfektionismus”.
Wer perfektionistisch eingestellt ist, muss auch daran glauben, dass es eine perfekte Lösung überhaupt gibt. Wenn du beispielsweise eine perfekte Mutter sein möchtest, musst du dafür auch erst einmal das Bild von einer “perfekten Mutter” im Kopf haben. Die Meinungen werden, was das angeht, jedoch auseinander gehen. Die “eine perfekte Mutter” wird es nicht geben. Wenn wir einerseits unsere eigenen hohen Ansprüche verfolgen, gleichzeitig aber die (eventuell gegenteiligen) Erwartungen aller Anderer zu erfüllen versuchen, wird das nicht nur in großer Anstrengung münden, sondern auch ein unmöglicher Auftrag. Wenn wir immer wieder versuchen, das Unmögliche möglich zu machen, kann das in Enttäuschung und Selbstzweifeln münden.
Neben dem Glauben an die perfekte Lösung begünstigt ein weiterer Faktor die Entstehung des Perfektionismus: Häufig wurde in der Kindheit gelernt, dass Fehler unverzeihlich und etwas sehr Schlimmes sind. Beispielsweise im Leistungskontext, wenn man bei einer schlechten Note die Enttäuschung der Lehrer:innen und Eltern gespürt hat oder von Mitschüler:innen ausgelacht wurde.
Unser Perfektionismus ist somit nicht nutzlos. Er kann mit dem Wunsch nach Verbesserung einhergehen, uns Antrieb geben und uns zu Höchstleistungen motivieren. Er scheint uns vor vermeintlichen Gefahren (ausgelacht werden, bestraft werden, Menschen enttäuschen) bewahren zu wollen und soll uns Anerkennung und Ansehen bringen oder unsere Beziehungen stärken. Er kann durchaus sehr funktional (also gesund) sein. Ab wann macht Perfektionismus jedoch krank? Wovon hängt das ab?
Perfektionismus kann krank machen, wenn die rigide (= starre) Zielverfolgung wichtiger ist als das eigene Wohlergehen und dieses darunter leidet.
Während Menschen mit gesundem Perfektionismus sich tendenziell fehlerfreundlich begegnen, können sich Menschen mit einem ungesunden (dysfunktionalen) Perfektionismus Fehler nur schwer verzeihen. Das liegt häufig daran, dass dann der Selbstwert an die eigene Leistung gekoppelt ist.
Typische Gedanken dafür wären z.B. “Wenn ich das nicht genau so schaffe, kann ich wirklich gar nichts. Dann bin ich wirklich nutzlos und nichts wert.” Die eigenen (unrealistisch hohen) Ziele werden dabei als Zwang erlebt und die Achtung vor sich selbst hängt vom Erfolg ab. Und wenn nur 100% gut genug sind und wir diesen unrealistischen Anspruch streng verfolgen, ist es kein Wunder, dass daraus Selbstkritik und Selbstzweifel folgen. (Wie du ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen kannst, erfährst du übrigens in diesem Artikel).
Es gibt durchaus Momente, in denen uns die 100% gelingen – was leider dem Ablegen eines ungesunden perfektionistischen Verhaltens eher schadet als nützt.
Stell dir vor, du musst eine Hausarbeit abgeben, machst dafür die Nächte durch, gibst deine Freizeit auf, gehst über deine körperlichen Grenzen und schuftest dich völlig kaputt. Was passiert, wenn du für dieses Verhalten anschließend noch Lob und eine Bestnote erntest?
Psychologen sprechen dann von “positiver Verstärkung”: Wir lernen dann, dass auf unser Verhalten (alles geben und sich “kaputt machen”) eine angenehme Konsequenz (“Bestnote + Lob”) folgt und speichern unser Verhalten als hilfreich ab – was dazu führt, dass wir diese Verhaltensweise mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft wiederholen. Es kann passieren, dass man im Nachhinein die eigene Leistung sogar niederredet und abtut – schließlich sind die 100% ja als persönlicher Standard definiert.
Wozu führt es, wenn man sich Fehler nicht verzeihen kann und den eigenen Selbstwert davon abhängig macht?
Studien zeigen, dass ein dysfunktionaler Perfektionismus zu Depressionen, Angst- und Essstörungen führen kann. Auch soziale Ängstlichkeit, eine hohe Anspannung und Stress sowie Erschöpfung scheinen mit einer strengen perfektionistischen Haltung einherzugehen.
Dabei kann uns unser Perfektionismus so sehr in die Erschöpfung treiben, dass wir anfangen, zwischen ungesunden Extremen zu schwanken: Auf Phasen, in denen wir 100% geben, folgen Phasen von 0% Energie. Dann gilt es, die Dinge zu relativieren, in eine neue Perspektive zu rücken und unsere Ansprüche an uns zu hinterfragen. Auch unser Selbstwertgefühl leidet unter den unrealistisch hohen Ansprüchen und auf der körperlichen Ebene kann es z.B. zu Schlafstörungen kommen.
Auf der Verhaltensebene kann man beobachten, dass Perfektionismus (vielleicht anders als erwartet) auch mit Prokrastination zusammenhängt (passiver Perfektionismus). Wer sich im Kopf alles perfekt ausmalt und hohe Ansprüche an sich stellt, ist am Ende vielleicht gehemmt, überhaupt mit einer Aufgabe zu beginnen. Das kann ebenfalls zur Folge haben, dass man am Ende nicht rechtzeitig fertig wird. Erinnere dich: Eine abgeschlossene Aufgabe ist besser als eine perfekt angefangene Aufgabe oder auch auf Englisch: “Done is better than perfect!”
Wir wissen, dass wir nicht immer alles richtig machen müssen oder können, aber wir versuchen es immer und immer wieder.
Falls du dich in den oben erklärten Beschreibungen wiederfindest, frage dich selbst: Was treibt dich zum Perfektionismus an? Wofür der ganze “Stress”? Warum bist du dein eigener größter Kritiker?
Zu Beginn ist es immer hilfreich, das eigene Denken und Verhalten genau unter die Lupe zu nehmen und sich die eigenen Ansprüche an sich selbst bewusst zu machen. Schreibe dir dafür “Ich muss…” auf einen Zettel und beginne aufzulisten, was dir dazu einfällt. Schaue dir anschließend an, welche Bereiche dir in deiner Auflistung auffallen: geht es eher um hohe Ansprüche im Leistungsbereich, im Erscheinungsbild oder in der Familie oder Freundschaften? Stellt dein Umfeld diese Ansprüche an dich oder bist du es selbst?
Wenn du herausgefunden hast, in welche Lebensbereiche dein Perfektionismus greift, ist es an der Zeit, in die Selbstreflektion zu kommen. Gehst du liebevoll oder streng mit dir um? Wie gehst du mit Kritik um? Kannst du dir deine Fehler verzeihen? Und kannst du die Kritik annehmen und daraus lernen? Oder machst du dich dafür fertig? Bist du womöglich zu streng mit dir? Und bist du zu deinem Umfeld auch so streng? Wenn es zwischen diesen beiden Fragen eine hohe Diskrepanz gibt, ist dies ein guter Hinweis dafür, dass deine Ansprüche an dich selbst unrealistisch hoch sind.
Jetzt gehen wir in die Analyse. Widmen wir uns zunächst den Kosten: Inwiefern schränkt dein Perfektionismus dich ein? In welchen Bereichen musst du Abstriche machen? Was sind die negativen Folgen deines perfektionistischen Verhaltens (Gesundheit, Freizeit…)? Vergib anschließend eine Zahl auf einer Skala von 0 (keine Kosten) bis 10 (sehr hohe Kosten), um dir klar zu machen, wie hoch die Kosten deines Perfektionsdrangs aktuell sind.
Dann widmen wir uns dem Nutzen. Inwiefern ist dein Perfektionismus hilfreich? Würdest du dein Ziel auch mit weniger Aufwand erreichen? Auf einer Skala von 0 (kein Nutzen) bis 10 (sehr hoher Nutzen), wie hoch schätzt du den Nutzen ein, in den angegebenen Bereichen 100% zu geben und Fehler zu vermeiden?
Nun schau dir an, wie groß die Diskrepanz zwischen beiden Bereichen ist. Ist sie groß? Sind die Kosten den Nutzen wert? Was bedeutet das für dich? Ist dein Perfektionismus weiterhin hilfreich? Überwiegen die Kosten den Nutzen, könnte es auch sinnvoll sein, sich professionelle Unterstützung zu suchen (z.B. durch psychotherapeutische Gespräche).
Versuche mal bewusst, eine Aufgabe bloß “mittelmäßig” zu erledigen bzw. absichtlich Fehler einzubauen. Es ist wichtig, korrigierende Erfahrungen zu machen, also sich vom Gegenteil zu überzeugen und zu merken, dass Fehler menschlich und verzeihlich sind und die Konsequenzen eines Fehlers weniger schlimm sind als erwartet. So kannst du deine Angst vor Fehlern schrittweise abbauen. Vielleicht kannst du perfekt darin werden, Fehler einzubauen 😉
Vielleicht hilft es dir auch, das Pareto-Prinzip zu kennen. Dieses besagt, dass man mit geringem Aufwand bereits ein gutes Ergebnis erzielen kann. Zielt man jedoch auf ein sehr gutes (100%iges) Ergebnis ab, steigt der Aufwand um ein Vielfaches. Das Prinzip lautet folgendermaßen: Für 80% des Ergebnisses reichen meist 20% Aufwand. Für die letzten 20% des Ergebnisses benötigt man weitere 80% des Aufwandes.
Dies gilt es auszutesten! Wenn du mit wenig Aufwand 80% des Ergebnisses erreichen kannst, ohne mit der Arbeit auf Kosten deiner Gesundheit zu leben, klingt das doch nach einem guten Deal!
Was ist wichtiger? Eine Aufgabe oder deine Gesundheit? Erinnere dich daran, dass dein eigenes Wohlbefinden wichtiger ist, als eine Aufgabe vermeintlich perfekt abzugeben und Fehler zu vermeiden. Lege deine eigenen Grenzen fest und lerne sie zu respektieren. Konzentriere dich mehr auf den Prozess als auf das Ergebnis. Denn worum geht es im Leben? Geht es darum, immer wieder schweißgebadet auf die letzte Minute die Dinge (vermeintlich) “fehlerfrei” abzuliefern? Was nützt es uns, ans Ziel zu kommen, wenn wir den Weg dahin nicht genießen? Vielleicht mag es trivial klingen, aber der gute alte Spruch hat sich immer wieder bewährt: “Der Weg ist das Ziel!” Und Kontrolle abgeben, bedeutet Freiheit gewinnen.
Also: Loslegen! (Anfangen & ins Tun kommen)
Loslassen! (von Details, das Große & Ganze sehen)
Loslösen! (ein Ende finden, 80% sind ausreichend!)
Lesedauer 5 Minuten Unser Selbstwert hat einen großen Einfluss auf unser Leben und unsere Zufriedenheit. Lerne mehr über Selbstwert und wie du ihn stärken kannst.
Lesedauer 6 Minuten Das ständige Streben nach Anerkennung kann sich ungesund auf deine mentale Gesundheit auswirken. Wann wird es gefährlich?
Lesedauer 5 Minuten Unseren Freund:innen begegnen wir mit viel Nachsicht und Mitgefühl und nehmen sie in den Schutz. Uns selbst hingegen begegnen wir überkritisch und hart. Das bringt uns zur Frage: Warum sind wir so gemein zu uns?
Mit dem Buttonklick willige ich ein, dass die von mir angegebenen Daten ausschließlich zum Newsletter-Versand mit der Newsletter-Software rapidmail genutzt werden. Jeder Newsletter enthält einen Abmelde-Link. Die Datenschutzerklärung haben ich gelesen. Die Angaben sind freiwillig und können jederzeit widerufen werden.